Eigenbedarf / Härtefalleinwand des Mieters
Erneut hat der Bundesgerichtshof zwei Entscheidungen aufgehoben und an die Instanzgerichte zur erneuten Prüfung verwiesen, in denen bei einer geltend gemachten Eigenbedarfskündigung die Härteeinwände der Mieter nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Es hätte eine umfassende Abwägung im Einzelfall zwischen den Mieter- und Vermieterinteressen stattfinden müssen.
Beschluss vom 26. Mai 2020 – VIII ZR 64/19
Die beklagten Mieter bewohnen ihre Wohnung seit 2009. Im Jahr 2017 kündigte der Vermieter wegen Eigenbedarfs. Hiergegen legten die Mieter Widerspruch ein. Ein Umzug würde für sie aus gesundheitlichen Gründen eine Härte bedeuten und wäre ihnen daher nicht zuzumuten. Hierbei beriefen sie sich im Prozess auf mehrere Atteste, in denen insbesondere auf eine schwere Lungenkrankheit sowie weitere Erkrankungen des Ehemanns hingewiesen wurde, die ihn erheblich einschränken würden. Eine Veränderung der Wohnsituation würde zudem eine weitere Verschlimmerung des Krankheitsverlaufs erwarten lassen. Das Amtsgericht verurteilte die Mieter gleichwohl auf Räumung. Trotz Vorlage der Atteste wurde von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Nach Vorlage weiterer Atteste, die auch eine fortschreitende Demenz bescheinigten, hielt auch das Landgericht eine sachverständige Begutachtung für nicht erforderlich. Das Amtsgericht habe sich durch Vernehmung von zwei Zeugen zuvor einen ausreichenden Eindruck verschaffen können.
Der BGH sah hierin eine Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Nur durch ein Sachverständigengutachten hätte zweifelsfrei die Erheblichkeit der behaupteten Erkrankungen sowie die vermutlichen Auswirkungen einer Räumung auf die gesundheitliche Situation festgestellt werden können. Es habe daher jeweils eine Abwägung auf Grundlage der sorgfältig festzustellenden Einzelfallumstände zu erfolgen. Die Mieter haben drohende weitere schwerwiegende Gesundheitsgefahren durch die Vorlage der Atteste konkret vorgetragen. Insoweit hätten sich die Vorinstanzen aufgrund des Fehlens eigener Sachkunde durch ein vom Gericht bestelltes Sachverständigengutachten einen Eindruck über den Schweregrad der Erkrankungen sowie die zu erwartenden weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen, die durch einen Umzug entstehen würden, verschaffen müssen. Dabei sei auch zu klären, mit welcher Wahrscheinlichkeit mit den vermuteten Folgen eines Umzugs für die Mieter zu rechnen sei.
Kommentar: Die Entscheidung ist zu begrüßen. Gleichzeitig ist unverständlich, dass nicht bereits die Vorinstanzen die Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens erkannt haben. Es ist ohnehin zu beobachten, dass Härtefallgründe der Mieter in einem Räumungsrechtsstreit trotz langer Mietdauer, hohen Alters sowie einer erheblichen Krankheitsbelastung häufig nicht anerkannt werden. Hier werden oftmals die vorliegenden Erkrankungen seitens der Gerichte recht oberflächlich betrachtet und als nicht ausreichend angesehen. Die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs gegen eine Kündigung können daher oftmals seitens der betroffenen Mieter nicht abgeschätzt werden. Richtig ist daher die Klarstellung der Karlsruher Richter, dass – jedenfalls bei konkret vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen – den Mietern der Nachweis durch ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten nicht zu verwehren ist.