Eigenbedarfskündigung: Krankheit als Härtegrund/Prognose
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs lassen sich im vorliegenden Fall die Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs lediglich durch eine gutachterliche Bewertung durch einen Neurologen sachgerecht klären.
Beschluss vom 30. August 2022 – VIII ZR 429/21
Die Mieterin lebt seit 2002 in ihrer Wohnung. Im Jahr 2015 erfolgte eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter. Die Mieterin widersprach der Kündigung wegen einer fortschreitenden Erkrankung an Multipler Sklerose, die für sie einen Umzug unmöglich mache, beziehungsweise die Gefahr einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung befürchten ließe. Hierzu legte sie ein Attest des behandelnden Arztes vor. Das Amtsgericht holte hierzu auch ein Sachverständigengutachten durch einen Psychiater ein. Dieser konnte eine Prognose zur weiteren Entwicklung des Krankheitsverlaufs jedoch nicht abgeben. Daraufhin bejahte das Amtsgericht den Räumungsanspruch, da allein die eingeschränkte Beweglichkeit keinen Härtegrund darstellte. Das Landgericht schloss sich dieser Bewertung an und hielt insbesondere die Einholung eines weiteren Gutachtens für nicht erforderlich.
Nach Ansicht des BGH lassen sich vorliegend die Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs lediglich durch eine gutachterliche Bewertung durch einen Neurologen sachgerecht klären. Das Landgericht habe daher das sogenannte „Gehörsrecht“ der Mieterin verletzt. Allein die vorhandene Gehbehinderung für die Bewertung einer vermeintlich nicht vorliegenden Härte zu berücksichtigen, würde insbesondere der erforderlichen Prognose bezüglich der zu erwartenden weiteren neurologischen Entwicklung nicht gerecht werden. Dies habe das Landgericht daher in einem erneuten Verfahren mit einem geeigneten Sachverständigen nachzuholen.
Kommentar: Die selbstverständlich richtige Entscheidung der Karlsruher Richter wirft gleichzeitig ein Schlaglicht auf die oberflächlichen Urteile der Instanzgerichte, die eine sachgerechte Klärung der zu vermutenden Entwicklung des weiteren Krankheitsverlaufs erkennbar unterlassen hatten. Soweit ein Gutachter bereits nach eigener Einschätzung keine Prognose zur Entwicklung stellen kann, dürfte es auf der Hand liegen, hierzu eine verlässliche Expertise eines Facharztes einzuholen.