Kein Wohnraummietrecht bei Vertrag zur Unterbringung von Flüchtlingen
Maßgeblich für die Abgrenzung eines Wohnraum- zum Gewerbemietvertrag ist nach wie vor der Vertragszweck.
Urteil vom 23. Oktober 2019 – XII ZR 125/18
Die Vermieter verlangen von der Stadt ausstehende Mieten in Höhe von 21.160 Euro. Die Stadt hatte die Unterkunft für die Unterbringung von Flüchtlingen auf Basis eines „Mietvertrags über Wohnräume“ angemietet. Der Vertrag enthielt einen Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit für fünf Jahre. Aufgrund sinkender Flüchtlingszahlen wurde die Unterkunft nicht mehr benötigt, sodass die vorzeitige Kündigung durch die Stadt erfolgte. Das Amtsgericht hielt die Kündigungsmöglichkeit für zulässig und die Mietforderung für unbegründet. Das Landgericht verurteilte die Stadt jedoch auf Zahlung der Mieten. Eine Kündigungsmöglichkeit habe aufgrund des wirksamen Kündigungsausschlusses nicht vorgelegen. Der BGH schließt sich dieser Auffassung an. Zwar könne in einem vom Vermieter vorformulierten „Wohnungsmietvertrag“ die Kündigungsmöglichkeit nur für maximal vier Jahre ausgeschlossen werden. Vorliegend handle es sich jedoch nicht um ein Wohnraummietverhältnis, da die Stadt erkennbar nicht den Zweck der Befriedigung eigener Wohnbedürfnisse, sondern allein den der Unterbringung von Flüchtlingen verfolgt habe. Die Bezeichnung als „Mietvertrag für Wohnraum“ sei daher unerheblich. Da kein Wohnraummietverhältnis vorgelegen habe, begründete der längere Kündigungsausschluss keine unangemessene Benachteiligung der Stadt als Mieterin. Auch ein Anlass für eine fristlose Kündigungsmöglichkeit aufgrund zurückgehender Flüchtlingszahlen erkannten die Richter nicht. Das Verwendungsrisiko trage die Stadt als Mieterin. Soweit die Laufzeit des Vertrags von der Entwicklung der Zuwanderungszahlen hätte abhängig gemacht werden sollen, hätte die Stadt auf eine vertragliche Gestaltung hinwirken müssen.
Kommentar: Die praxisrelevante Entscheidung betrifft Städte und Gemeinden, die unter dem Eindruck der zunächst starken Zuwanderung Objekte anmieteten, ohne sich eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit bei zurückgehenden Zahlen vertraglich zusichern zu lassen. Das Risiko solle nach Auffassung der Richter jedenfalls nicht einseitig der Vermieter tragen. Gleichzeitig macht die Entscheidung deutlich, dass der Vertragszweck zur Einordnung, ob es sich um einen Wohnraummietvertrag handelt oder nicht, entscheidend ist. Dieser Grundsatz hat bei konsequenter Beachtung insoweit auch in den Fällen Bedeutung, in denen ein Vermieter einen Wohnraummietvertrag als „Gewerbemietvertrag“ betitelt, um auf diese Weise beispielsweise die mieterschützenden Regelungen eines tatsächlich existierenden Wohnraummietverhältnisses auszuschließen. In diesen Fällen wäre daher folgerichtig Wohnraummietrecht anwendbar.