Kündigung: Härtefallwiderspruch wegen Suizidgefahr
Der BGH macht auch mit dieser Entscheidung erneut deutlich, dass bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs jeweils eine umfassende Abwägung der Interessenlage des Vermieters auf Herausgabe der Wohnung mit den Interessen der Mieter hinsichtlich der weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erfolgen hat.
Urteil vom 26. Oktober 2022 – VIII ZR 390/21
Die 80-jährige Mieterin lebt seit 1977 in ihrer Zweizimmerwohnung in Köln im 3. Obergeschoss. Im April 2017 kündigte der Vermieter, der mit seinem Partner in dessen 123 Quadratmeter großen Wohnung auf demselben Stockwerk wohnt, wegen Eigenbedarfs. Der Vermieter begründete die Kündigung mit dem Wunsch, die beiden Wohnungen zusammenzulegen. Er benötige die sodann circa 190 Quadratmeter große Wohnung, da diese aufgrund eines direkten Zugangs aus dem Fahrstuhl besser zugänglich und daher auch altersgerecht sei.
Die Mieterin widersprach der Kündigung unter Hinweis auf soziale Härtegründe. Aufgrund einer Depression und Suizidgedanken käme für sie ein Umzug in eine Alternativwohnung nicht infrage. Hierbei verweigerte sie auch einen Einzug in die dem Vermieter ebenso gehörende circa 55 Quadratmeter große Wohnung auf der gleichen Etage. Das Amts- sowie das Landgericht Köln kamen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Erkenntnis, dass trotz des Angebots einer Ersatzwohnung der Mieterin ein Umzug aufgrund der Suizidgefahr nicht mehr zumutbar sei.
Auch der BGH bejaht die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Unter Würdigung der beiderseitigen Interessen sei insbesondere zu beachten, dass die Mieterin auf die seit Jahrzehnten bewohnte Wohnung fixiert sei. Eine unter Umständen gebotene stationäre therapeutische Intervention habe die Mieterin zwar abgelehnt, dies jedoch erkennbar aus krankheitsbedingten Gründen. Zu prüfen sei zwar jeweils, inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch familiäre Unterstützung beziehungsweise ärztliche Betreuung mindern ließen. Aufgrund der vorliegend erheblichen psychischen Erkrankung, die mit einer Suizidgefährdung einhergehe, sei gleichwohl das Interesse der Mieterin an einem Verbleib in ihrer Wohnung höher zu bewerten. Das Interesse des Vermieters an einer größeren sowie altersgerechten Wohnung habe zurückzustehen, da die derzeit genutzten Räumlichkeiten eine jedenfalls zumutbare Wohnsituation darstelle. Ungeachtet der grundrechtlichen Eigentumsgarantie habe der Vermieter daher gewisse Nachteile hinzunehmen, die vorliegend als erheblich geringer zu betrachten seien. Ebenso sei eine Besserung der krankheitsbedingten Umstände nicht zu erwarten, sodass auch die Entscheidung der unbefristeten Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zu beanstanden sei.
Kommentar: Der BGH macht auch mit dieser Entscheidung erneut deutlich, dass bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs jeweils eine umfassende Abwägung der Interessenlage des Vermieters auf Herausgabe der Wohnung mit den Interessen der Mieter hinsichtlich der weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erfolgen hat. Hierbei ist häufig der Ausgang eines Verfahrens nicht absehbar, zumal bezüglich des Vorliegens einer „sozialen Härte” für die Mieterseite erhebliche Hürden bestehen. Auch ein langes Mietverhältnis oder hohes Alter, verbunden mit nachweislich vorliegenden erheblichen Krankheiten, die auch eine Suizidgefährdung nicht ausschließen, führen häufig nicht zu einer erfolgreichen Abwehr eines Räumungsanspruchs. Vorliegend war offenkundig auch ausschlaggebend, dass die Vermieterseite in dem Haus bereits in erheblichen Maße mit Wohnraum versorgt ist.