Kündigungswiderspruch gegen Eigenbedarf: Suizidandrohung
Eine Suizidankündigung der Mieter muss im Kontext des drohenden Wohnungsverlusts und der psychischen Belastung sorgfältig geprüft werden.
Urteil vom 10. April 2024 – VIII ZR 114/22
Der Vermieter kündigte wegen Eigenbedarfs. Hiergegen legten die Mieter Widerspruch ein, weil die Kündigung für sie eine besondere Härte darstelle. Aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen sei ihnen ein Umzug nicht mehr zuzumuten. Hierbei erklärten sie auch, für den Fall eines erzwungenen Umzugs einen Suizid zu beabsichtigen. In den Vorinstanzen wurden die Mieter nach Einschaltung eines psychiatrischen Gutachtens zur Räumung der Wohnung verurteilt. Hiernach seien sie trotz Vorliegens ernstzunehmender Erkrankungen keinesfalls lebensmüde. Sie hätten grundsätzlich ihren Lebenswillen bekundet. Daher stelle sich die Suizidankündigung eher als eine im Rahmen der freien Willensbildung gewählte Strategie aufgrund eines drohenden Wohnungsverlustes dar. Ein jedoch nicht krankheitsbedingt entwickelter Wille könne bei der erforderlichen Abwägung der Vermieter- beziehungsweise Mieterinteressen nicht ohne Weiteres zulasten des Vermieters gehen. Der BGH teilt die Entscheidung der Vorinstanzen nicht, sodass das Landgericht erneut zu entscheiden habe. Die mit einem Umzug typischerweise verbundenen Beeinträchtigungen hätten bei der Bewertung, ob eine unzumutbare Härte vorläge, zwar außen vor zu bleiben. Eine besondere Härte könne jedoch nicht pauschal mit dem Hinweis, dass die Suizidabsicht auf einem frei gewählten Willen beruhe, verneint werden. Der Staat habe grundsätzlich die Verpflichtung, sich schützend und fördernd für das Leben einzusetzen. Daher hätte das Gericht bei drohender Lebensgefahr die Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Insbesondere seien Beweisangebote sorgfältig nachzugehen und den unter Umständen bestehenden Gefahren bei Abwägung der unterschiedlichen Interessenlagen hinreichend Rechnung zu tragen. Dies könne regelmäßig nur durch eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls wirksam erfolgen. Wer im Hinblick auf die Suizidgefahr allein an den vermeintlich frei gewählten Willen der Mieter anknüpfe, verkenne die ernsthafte Gefahr, dass eine Selbsttötung ausschließlich durch die drohende Verurteilung zur Räumung hervorgerufen werden könne.
Kommentar: Der BGH weist erneut zu Recht darauf hin, dass insbesondere bei schwer zu bewertenden Fällen das Gericht es sich nicht „zu leicht“ machen dürfe, zumal die Folgen häufig unabsehbar sind und – wie im vorliegenden Fall – unumkehrbar wären. In vielen Fällen werden die Gerichte nicht ohne Weiteres seriös zu dem Schluss gelangen können, dass eine Suizidandrohung eher als „taktischer“ Vortrag der Mieterseite zu bewerten ist. Im Rahmen der erforderlichen Beweiswürdigung sind deshalb insbesondere die notwendigen Sachverständigengutachten umfassend auf Plausibilität zu prüfen.